Fisch auf der Autobahn

Der Regen prasselte in langen Fäden aus den mattgrauen Wolken. Ich schaute durch das Fenster in den Schuhladen hinein und wünschte mir eine wasserundurchlässige Regenjacke. Die Verzweiflung trieb mich an diesem Samstagmorgen in die mit Menschen gefüllten Gassen der Grossstadt. Mein Repertoire an Kleidern füllt nicht einmal ein Gewürzregal und so war ich gezwungen, mich zwischen Kaufsüchtigen und Wochenendbummlern aufzuhalten. Der Schuhladen sah etwas chic aus, was meiner Wenigkeit mächtig Angst einjagte. Im nächsten Schaufenster waren Pullover zur Schau gestellt, die mich an meine Zeit im Knabenchor erinnerten.
Es regnete noch immer. Die Kleider meiner Wünsche schienen an diesem Tag frei zu haben. So nahm ich mir vor, das nächste Geschäft zu betreten, zielstrebig zu den Hosen und Hemden zu laufen und, koste es was es wolle, das Nächstbeste nehmen. Ich stellte mich vor die Eingangstür wie wenn es ein Gegenüber mit glänzendem Colt wäre. Mit finsterem Blick und der rechten Hand an der Brieftasche schritt ich wagemutig hinein. Ich erspare Ihnen hier jetzt die detaillierten Nacherzählungen, was sich dort drin so alles zugetragen hat. Aber nach einer Stunde kam ich mit zersaustem Haar und weinerlichen Augen wieder hinaus. In der Hand fünf grosse Tragtaschen mit reichlich Inhalt.
Verloren und einsam stand ich auf der Einkaufsstrasse. So muss sich wohl ein Fisch auf der Autobahn fühlen. Der Regen hatte sich verzogen, nur die mattgrauen Wolken waren noch zu sehen.
Eine Woche später traf ich mich Abends mit Freunden zu einem Bier. Der neue Pullover und die Hosen hatte ich hierfür sorgfältig an meinem Körper montiert. Ein etwas älterer Herr nickte mir freundlich zu und sagte beim vorbeigehen: „Ich wünschte ich wäre so mutig bei meiner Kleiderwahl“. Wie war das? Ach ja, Fisch auf der Autobahn!

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