Text ohne Moral

Eine Text ohne Moral ist wie ein Strassenverkehr ohne Idioten – schwer vorstellbar. Ich versuche es trotzdem.
Die Frau die mich ein“ niederes Wesen mit weniger Verstand als mein Wesen selber“ bezeichnete, kannte mich anscheinend besser als ich das für das erste Treffen erwarten konnte.
Ich rannte die Rolltreppe im Bahnhof hoch und schrie ausser Atem: „Linds stehen, rechts rennen“. Unglaublich wie einige Völker das nicht begreifen können. Die besagte Weiblichkeit überhörte mich wohl, was nicht weiter verwunderlich war. Sie trug übergrosse Kopfhörer, die sonst wohl nur bei der NASA verwendet werden. Ich berührte sie nur leicht, vom heutigen Standpunkt aus könnte man sagen, dass es eher ein angenehm fester Luftzug war, der ihre Schultern streichelte. Ihr Anwalt sag das anders und eine Woche später befand ich mich vor dem Richter. Ich plädierte auf Kompromissbereitschaft meinerseits. „Wie erklären sie sich ihr Verhalten?“, zitierte mich der Rechtsverteidiger in den Zeugenstand. So holte ich tief Luft, montierte meine Hundeaugen und begann mit dem Plädoyer: „Um den Sachverhalt richtig zu verstehen muss ich ein wenig in die Geschichte der Öffentlichen Verkehrsmittel zurück. Als die Menschheit sich zu entwickeln begann, und das tat sie ohne meine Zustimmung, wurden die Wege zu Fuss zurückgelegt. Eines ergab das andere und die SBB trieb die Preise in die Höhe, was mich als Studenten an den Rand des Ruins trieb. So entschloss ich mich vor wenigen Monaten, mein budgetbewusstes und äusserst ruhiges Gewissen zu hinterfragen. Was wenn ich das Zugfahren als Nutzen an die Gesellschaft sehe? Ich schleuse mich in die Öffentlichkeit, so dass jedes Individuum meine Anwesenheit geniessen kann und selbstverständlich verlange ich hierfür keinerlei Entgeltung. Ja, man hat mich verwarnt. Und ja, es gab Meinungsverschiedenheiten zwischen den Kondukteuren und mir. Aber ich bin zu Kompromissen bereit, wie ich bereits zu Anfang erwähnt habe. So kam es, dass mich eine gerichtliche Verfügung dazu bewegte, das Generalabonnement zu erwerben, was ich dann auf der Stelle auch tat. Da aber die Technologie, und dies wieder ohne mein Verschulden, es nicht zulässt solch ein Abonnement an einem Automaten zu kaufen und die Schlange vor dem Schalter ins Unendliche wuchs und die Bahnangestellte hinter dem Glaskasten wohl nicht die Ausbildung genoss die.... sie sehen Herr Richter. Unglückliche Umstände, für die weiss Gott niemand etwas dafür kann, zwangen mich auf den Zug zu rennen um rechtzeitig an meinem Bestimmungsort anzukommen. Ich danke Ihnen für ihr Verständnis“.
Mit einem gekonnten Seitenschwung verliess ich den Zeugenstand und setzte mich wieder auf meinen Stuhl. Der Richter zog langsam seine Brille aus dem Gesicht, rieb sich müde die Augen und stellte fest: „Sie bestreiten, weder, dass Sie die Frau angerempelt haben, weder dass sie keine Schuld trifft?“ Da hatte er einen guten Punkt; es kam mir auch so vor als hätte ich etwas Wesentliches in meinem Plädoyer vergessen. Er fuhr fort: „Sie sind schuldig im Sinne der Anklage. Sie werden bei der Migros Klubschule den Kurs „Bahnhofgedränge, ich bin dabei“ belegen und da Sie keine Reue gezeigt haben, schreiben Sie sich für ein Ökonomiestudium ein. Dies wird Ihnen nichts zwar nichts nützen, aber der Gesellschaft auch nichts. So bleibt alles im Gleichgewicht“. Die Verhandlung war geschlossen und als ich mit gesenktem Kopf unter den sporadisch leuchtenden Strassenlaternen nach Hause lief, dachte ich mir noch: „Mist!“

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