Perlenträume

Ich habe meine Arbeitsstelle gekündigt, ohne eine neue in Aussicht zu haben. Gewagt – ich weiss. Doch ich bin diese gebügelten Anzüge und Stricke um meinen Hals leid. Es muss noch mehr geben, als Morgens immer die gleiche Strasse entlang zu fahren, dieselbe Stimme aus dem Radio zu hören und Abends dasselbe in umgekehrter Richtung.


Natürlich hatte ich ein gutes Gehalt, auch meine Kaderposition erlaubte es, Freiheiten und Verantwortung miteinander zu vermischen. Jedoch sind dies Strukturen, die sich zusammenziehen und dir irgendwann die Luft abschnüren.
So kam es, dass ich zwischen der zweiten Kaffeepause in das Büro meines Chefs ging, meine Kündigung auf den Tisch legte und den Überraschungsmoment genoss. Er erhob seinen Kopf, begutachtete mich mehrere Sekunden und sagte dann mit tiefer bedrohlicher Stimme: „OK“. Dies war nicht die Antwort die ich mir erhofft hatte, aber man muss damit leben können.


Nun sitze ich hier am Tisch und durchwühle die Zeitung nach Stelleninseraten. Vielleicht sollte ich Viehzüchter in den Prärien von Nevada werden, oder Perlentaucher im indischen Ozean. Eins sein mit der Natur, die asphaltierten Strassen der Unterdrückung verlassen und die Ketten der sturen Arbeitsmentalität sprengen.


„Gesucht: Verantwortungsvolle Kaderposition im Verkauf. Hohes Gehalt, grosse Eigenverantwortung“, klingt vielversprechend. Aber eine Krawatte werde ich nicht tragen und dies halte ich ausdrücklich in meiner Bewerbung fest. In meinen nächsten Ferien werde ich mit weissen Haien auf Perlensuche gehen. Gewagt – ich weiss.


PS: Freunde der Grammatik werden nun bemängeln, dass man das Überraschungsmoment schreibt und nicht den. Es sei ihnen gesagt – NIEMALS werde ich es so schreiben. Ich lasse mir durch solche Strukturen nicht die Luft abschnüren.

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