Nachtwache

Ein Kenner der Künste sei er. Zufrieden mit diesem, seiner Ansicht nach äusserst gelungenen Aussage, verliess er das Podium.

Zwei Stunden zuvor sass er noch schweissgebadet im Publikum und hörte sich an, wie Schriftsteller von Format sich gegenseitig das Zeitliche genüsslich ins Ohr flüsterten. Diese abgehobenen Schalträger mochte er noch nie. Zu viel Gerede um den heissen Brei. Zu wenige, die wirklich des Schreibens wegen dort oben standen.
Eingeladen zu diesem „Symposium gegen die Denkerstirn – auch Künstler sind Ekelpakete“ hat ihn eine ehemalige Schulkollegin, die ihrerseits zur Verlegerin aufgestiegen ist. Er selber streift Nachts durch die leeren Gänge eines Multikonzerns und bewacht, ja eigentlich weiss er selber nicht genau was es dort zu bewachen gibt. Breit sitzt er im Sessel des Geschäftsführers und schmiedet seine Zukunft. Ob er zuerst ein Buch schreiben soll oder doch gleich Leadsänger einer weltberühmten Rockband… darüber zweifelt er Nachts. Am Tag sitzt er an der Kasse eines Kaufhauses und studiert die Menschen, welche ihr schmutzig verdientes Geld bei ihm ausgeben.
Das Wort Freizeitpsychologe mag er nicht. Stolz erzählend, die Psyche jeder Person in Sekundenbruchteilen zu erfassen und zu durchleuchten wenn sie bei ihm an der Kasse das Münz zusammenkratzen. Studieren sei etwas für Theoretiker. Er sei ein Mann des Schaffens, braucht kein Stück Papier das ihm sagt, er wisse wie etwas geht. Diplome und Zeugnisse schränkt Menschen ein, das zu glauben was sie wirklich können… oder umgekehrt?
Leise, etwas zaghaft betritt er die Bühne. Nach verhaltenem Applaus und fragendem Flüstern im Saal sortiert er seine Blätter und fängt an zu reden. Wie wenig Schriftsteller sich damit auseinandersetzen, zu schreiben was die Menschen hören wollen gegenüber was sie eigentlich schreiben sollten. Er ging über zu Mut und Toleranz in der Öffentlichkeit.
So verliess er die Bühne. Schweigsam, zaghaft. Absolute Stille im Raum, kein Flüstern, kein Applaus. So eilte er umgehend aus dem Saal und bestieg den Bus, der ihn zur Arbeit brachte; in den Stuhl des Geschäftsführers.
Insgeheim wusste jeder im Saal, was dies zu bedeuten hatte. Nach einigen Minuten war das Lachen verhallt, in dem Hochmut sowohl auch Angst mitschwang…


Additional information