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Matthias Herbst

Matthias Herbst lebt in einem Haus am Stadtrand, nahe der örtlichen Schnapsbrennerei.. Kultur ist seine Leidenschaft und diese pflegt er auch. Wenn er einkaufen geht, dann nur mit Kultur. Dasselbe gilt für die Tanzabende in der Gemeinschaftsküche ?Zum Freischaffenden Apfel?. Welch froher Gesang sich unter dem Sternenhimmel ausbreitet, als ob Matthias und Kultur die Welt verändern könnten. Einsam sitzt er manchmal in seinem Eisbärenkostüm auf der Treppe seines Hauses und trauert der Zeit nach, wo Kultur noch bei ihm wohnte. Heutzutage muss er sie schon suchen gehen, falls sie ihn überhaupt finden will. Ein leiser Regen prasselt wie eine kleine Trommel auf das Blechdach, bevor sich ein kleines Rinnsal bildet und die Rinne hinabfliesst ? Kultur braucht Zeit. Noch so manche Stunden wird er hier verbringen und diesem Wort nachrennen, ohne es jemals zu verstehen. Vielleicht in einem Satz? Doch das wäre für Kultur dann schon wieder zuviel!

Zeit zu stehlen

Die Zeit schlich sich ohne Vorwarnung unter das Stuhlbein und bis mir in die Achillessehne. Ich langte nach dem Telefon und rief einen alten Freund an, der sich mit Zeitfallen beschäftigte. Gequält ging er am anderen Ende an die Muschel. Er versprach in den nächsten Minuten vorbeizukommen. Er geriet wohl in ein Zeitloch. Vier Stunden später sassen wir gemeinsam auf dem Boden meiner Wohnung und rauchten eine Wasserpfeife. Ringe stiessen in Richtung Decke als er mir die Struktur von Lungenkrebs an die Wand malte. Geld löse sich in Rauch auf, waren seine letzten Worte, bevor er sich mit intellektuell Miene auf den Rücken legte. Ich übernahm das Schwert und hoffte auf meine Unwissenheit. Jeder Obdachlose würde rauchen, so teuer kann dies gar nicht sein. Seine langen Atemzügen kamen mit bekannt vor. Die Wasserpfeife in der Hand lauschte ich der Stille. Prozentual gesehen werden die Obdachlosen zu neunzig Anteilen von der Gesellschaft getragen. Sie nutzen die Zeit um Zeitlosen genau diese zu stehlen. Es ist die grösste Zeitfalle die auf dem heutigen Planeten existiert. Obdachlose haben Zeit, die sie von Bürgern kriegen, die arbeiten gehen um diesen Menschen eine Existenz zu geben. Ich nickte bejahend und deklarierte es ebenso als die grösste Zeitfalle, die auf unserem Planeten herrscht. Der Rauch schwebte unter der Decke, als ich wieder alleine am Tisch sass. Die Beine habe ich auf eine stehen gebliebene Uhr gestellt. Es kam mir wie ein Blackout vor, welches ich wieder vergessen hatte!

Intelligenz für dumm verkauft

Eine einsame Gestalt geht den Fluss entlang, als er auf den Tod trifft: ?Haben Sie Streichhölzer?? fragt der Tod die Gestalt. ?Ich rauche nicht?, antwortet er darauf. ?Halte ich für gesünder?. ?Das spielt bei Ihnen keine Rolle mehr?. ?Das haben meine Eltern auch immer gesagt?. ?Kluge Menschen? antwortet der Sensenmann. ?Übertreiben sie mal nicht. Intelligenz ist in unserer Familie Mangelware?. ?Das dürfen Sie aber so jetzt auch nicht sagen. Ist schliesslich Ihre Familie?. ?Ach wissen sie, das darf man nicht so eng sehen. Wer ist denn heutzutage schon intelligent?. Der Tod legt sein Knochengesicht in tiefe Falten und antwortet: ?Wer ist denn schon dumm?? ?Intelligente Frage? muss die Gestalt eingestehen. Der Tod lächelt bescheiden und erhebt seine Sense. ?Doch sicher ist, dass wir alle einmal sterben?. ... es ist für einen Moment still. Dann fährt die Gestalt fort: ?Sterben ist relativ?. ?Was meinen Sie denn mit relativ. Sterben ist ein einschneidiges Schwert, wie diese Sense?. ?Ich bin eigentlich ganz froh, dass ich ihnen hier über den Weg gelaufen bin. Da gibt es eine Frage, die mir schon lange auf der Zunge liegt? Der Tod atmet schwer und gewährt ihm diese letzte Frage. ?Was machen sie mit Menschen, die sich Rehinkanieren?? ?Intelligente Frage. Darüber habe ich noch gar nie nachgedacht.? Das Jenseits steht etwas verdutzt in der Gegend herum. ?Ich schlage ihnen einen Kompromiss vor?. ?Mit dem Tod lässt sich nicht verhandeln?... nur das Rauschen des Flusses ist zu hören. ?Ich habe Zeit? sagt die Gestalt. ?Das meinen sie. Zeit ist relativ?. ?Klugscheisserei bringt uns in dieser Situation auch nicht weiter. Ich biete ihnen den Kompromiss noch ein letztes Mal an?. Der Tod überlegt einen Moment. ?Na gut, Sie sind heute sowieso mein einziger Kunde?. ?Gut. Ich verrate ihnen das Geheimnis der Rehinkanation, dafür geben sie mir ihren schwarzen Umhang?. ?Hmm, einverstanden?. Das Klappergerüst schlägt mit dem Gedanken ein, die Gestalt nachher sowieso ins Reich der Finsternis zu holen. ?Zuerst will ich aber ihren Umhang.? ?Das war nicht so vereinbart? ?Ich verrate ihnen ein über jahrtausende gehütetes Geheimnis. Knausern sie nicht so mit ihrem verfilzten Stück Stoff.? Der Tod gibt ihm zögernd den Umhang. Die Gestalt hängt ihn sich um und mustert sich von allen Seiten. ?Nun will ich es aber wissen? ?Nun gut. Um ganz ehrlich zu sein: ich habe ein wenig geflunkert. Oder dachten sie, dass so eine triste Gestalt wie ich es eine bin, das Geheimnis der Rehinkanation kennt?? Der Blick des Todes verfinstert sich. Die Gestalt erwidert noch schnell: ?Nun sehen sie einmal, wie sie nackt nach Hause kommen? und läuft davon. Der Tod will gerade seine Sense nach ihm schwingen, da kommen zwei Polizisten des Weges gerannt und verhaften ihn wegen ?Erregung öffentlichen Ärgernisses?. Erst jetzt erblickt der Sensenmann das Plakat, das hinter ihm am Baum hängt: ?Nudist gesucht. 1000 Franken Belohnung für jegliche Hinweise?.

Die guten alten Tage

Mein Leben kommt mir manchmal vor wie ein Ramschladen. Nicht, dass ich sehr viel besitzen würde, doch das wenige das ich habe, ist nicht ein Pfennig wert. Pfennigfuchser: ich verabscheue dieses Wort. Klingt ein bisschen nach pensioniertem Grossvater in einer Strickjacke. Wir hatten damals nicht viel, doch wir haben es zu schätzen gewusst. Wirklich? Wird uns nun vorgeworfen, dass wir zuviel besitzen? Wir wüssten nicht, was harte Arbeit bedeutet. Wir hätten keinen Funken Anstand. Doch warum geht es uns besser als den Leuten vor fünfzig Jahren? Weil etwas geändert wurde. Weil die guten alten Jahre, vielleicht doch nicht so gut waren. Die Menschen lösten sich vor Unterdrückung, in welcher sie aufgewachsen sind, um den Kindern der Zukunft ein besseres Leben zu ermöglichen. Da sind wir nun ? die Kinder der Zukunft. Es herrscht immer noch Unterdrückung. Vielleicht nicht mehr in unserem nahen Umfeld. Genau weil die Menschen, welche uns nun Nichtsnutz vorwerfen, dagegen gekämpft haben! Es müsste wieder einmal ein Rückschritt getan werden, um unseren Wohlstand zu sehen: wir arbeiten hart daran!

Fauler Philosoph

Stunden wie Tage, Minuten wie Stunden, Sekunden wie?? die Zeit scheint still zu stehen. Es wird darüber geklagt, dass unsere Zeit bald gekommen sei, wir blicken dem Untergang entgegen und das Ende kommt mit rasender Geschwindigkeit näher. Nur ich sitze hier auf meinem Stuhl und starre in diesen leblosen Bildschirm, der mich mit einer matten, gelangweilten Helligkeit anstrahlt. ?Lasst den Untergang endlich auch bei mir in die Stube?, schreie ich innerlich und trete mir selbst ans Schienbein, nur um zu sehen ob ich noch am Leben bin. Wenn nicht, wäre dies auch kein grosser Verlust für mich oder irgendjemand anderen. Die Gedanken wie blockiert, ein leerer Raum ohne Widerhall, so fühlt sich mein Körper, insbesondere mein Kopf an. Den linken Zeigefinger einmal auf und ab bewegt, jetzt sollte dem Sport für heute auch genüge getan sein. Ich bin kein Mensch der Extreme, was mich vielleicht auch in diese prekäre Lage gebracht hat. Ein Faultier nannten mich früher immer alle, was mich verwunderte, denn Faultiere sind nach einer zurückgelegten Strecke von hundert Metern erschöpft, ich bringe es nicht einmal auf die Hälfte ohne in ein Weinen der körperlichen Verzweiflung auszubrechen. So bin ich eben nun mal und ich werde auch danach beurteilt. Sich immer selber treu bleiben, dies habe ich mir geschworen. Doch um ehrlich zu sein, ich bin sogar für diesen Vorsatz zu faul. Ich gebe es auch offen zu, ich tauge zu nichts. Kein gesellschaftlicher Anlass den ich mit meiner blossen Anwesenheit nicht ruiniert hätte, kein Gespräch ohne dem gelangweilten Gegenüber ein noch gelangweilteres Gähnen ins Gesicht zu drücken. Ich bin eine Person die niemand mag. ich selbst mag mich eigentlich auch nicht besonders, aber ich habe gelernt mir aus dem Weg zu gehen. Das scheint auch das Rezept aller anderen zu sein. Faulheit ist keine Krankheit, sondern ein Full-Time Job. So gesehen arbeite ich rund um die Uhr, bekomme dafür nicht einmal Gehalt, von Ferien ganz zu schweigen. Ja, ich bin ein richtiges Arbeitstier und das langweilt mich schon wieder extrem. Dies ist auch der Grund warum ich nicht verstehe, wieso alle Angst vor dem Untergang haben der nie kommt. Ich wurde auch schon als Untergang bezeichnet und komme auch nirgends hin. Es braucht sich also niemand Sorgen zu machen, das Ende ist das einzige, das noch fauler ist als ich!

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